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    Re: Vorteile für die SW-Industrie (374)

    From

    Steinmann, C.

    Date

    Friday, 25. June 1999 13:16

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    Content

    Hallo Herr Verlage!
    
    Ich denke wir sind uns in vielen Punkten inhaltlich einig. Sie wollen einen
    Standard als Leitlinie, als Orientierunghilfe und als Quelle der
    Inspiration eingesetzt wissen. Soweit stimme ich Ihnen voll zu. Wir selbst
    sind als Softwarehaus kein Auftragnehmer einer Bundesbehörde und wir nutzen
    das V-Modell genauso, wie Sie es vorschlagen. Ich lese jedoch aus
    existierenden Standards auch aus dem V-Modell einen anderen, viel
    weitergehenden Anspruch.
    
    > Die Thesen von Hr Steinmann beruhen zum Teil auf einer Interpretation,
    die
    > nicht ganz im Sinne der Entwickler von (modernen) Standards ist. Seine
    > ersten drei Thesen implizieren, daß ein Standard so benutzt wird, daß er
    > den Entwicklern vorschreibt, was sie zu tun haben. Dies ist meiner Auf-
    > fassung nach nicht das Ziel von Standards.
    >    Ein Standard sollte immer nur die Schnittstellen zwischen den
    > Arbeiten verschiedener Personen oder Organisationseinheiten definieren.
    
    Das V-Modell gilt, wenn ich das richtig verstanden habe, als verbindlicher
    Entwicklungsstandard für IT-Systeme des Bundes. Verbindlich sind dabei die
    Beschreibungen der Aktivitäten, und die Aktivitätenbeschreibungen legen
    sehr weitgehend und sehr genau fest, was Entwickler zu tun haben. Für eine
    Schnittstellendefinition wären eher die Produktmuster und das Rollenkonzept
    als verbindlich zu erklären.
    
    Wird das V-Modell als Vertragsgrundlage zugrundegelegt, dann ist gegenüber
    dem Auftraggeber zumindest eine V-Modell konforme Sicht zu verschaffen.
    Intern kann man dann vielleicht auch arbeiten, ohne sich an das V-Modell zu
    klammern, aber es besteht dann das Problem, die V-Modell konforme Sicht
    aufrechtzuerhalten.
    
    > Qualität in einem Projekt mit 100 Entwicklern kann nicht dadurch er-
    > reicht werden, daß jeder um Qualität bemüht ist. Ingenieurmäßige
    > Softwareentwicklung bedarf bestimmter Prinzipien. Bei der Programmierung
    > ist dies z.B. die Strukturierte Programmierung (wer akzeptiert
    > heute noch GOTOs?). Bei der SE ist dies die Unterteilung in Schritte,
    > die verschiedene Ziele haben (Anforderungen, Entwurf, Code, usw.).
    > Innerhalb des definierten Rahmens existiert dann ein Freiraum.
    
    Jede Softwareentwicklung bedarf bestimmter Prinzipien. Die
    Softwareentwickler müssen die aktuellen Methoden kennen und wissen, wie man
    diese einsetzt. Softwareentwickler müssen auch wissen, daß jemand darauf
    achtet, ob sie die Methoden auch wirklich einsetzen. Ein Prozeßstandard wie
    das V-Modell ist aber doch etwas viel weitergehendes. Ein Prozeßstandard
    setzt erst auf einem bestehenden Methodenfundament auf und erzwingt in
    allen Projekten das gleiche Vorgehen. Ich bin ja nicht gegen methodisches
    Arbeiten, sondern ich stelle den Sinn von Standards an dieser Stelle in
    Frage.
    
    Unbenommen bleibt der Punkt, daß in es Projekten mit 100 Entwicklern
    notwendig ist, ein gemeinsames Vorgehen zu vereinbaren. Aber dennoch gilt
    auch in großen Projekten: Ein Standard schafft keine Qualität, Qualität
    folgt aus methodischer Arbeit und Qualitätsverantwortung.
    
    > Hier würde ich gerne einen Vergleich zum Führerschein ziehen. Sicher-
    > lich ist das Autofahren "standard-konform". Auch kommt niemand durch
    > Lesen und Anwenden der Regeln von A nach B. Sicherlich sind Tempo-
    > sünden an der Tagesordnung, aber im Großen und Ganzen funktioniert
    > es. Ich möchte hier nicht mit mehr Kreativität leben.
    Der Vergleich zum Straßenverkehr wird häufig gezogen. Meiner Ansicht nach,
    ist dieser Vergleich aber grundsätzlich falsch. Zum Autofahren brauche ich
    einen Satz von Regeln, ich muß einige Methoden erlernen und wissen, wie ich
    sie anwende. Ok. Ich kann dann aber Autofahren, indem ich das Gelernte stur
    anwende. Autofahren funktioniert am besten, wenn alle "Dienst nach
    Vorschrift" machen. Zum Autofahren ist Kreativität schädlich. Aber das hat
    doch nichts mit Softwareentwicklung zu tun!
    
    >    Das Analogon mit den Straßenverkehrregeln illustirert noch
    > eine andere Seite von Standards: Regeln werden im Straßenverkehr
    > so aufgestellt, daß auch noch der schwächste Teilnehmer
    > sicher die Straße befahren kann (deswegen stehen vor vielen Kurven
    > Tempo 70-Schilder, für Autofahrer manchmal etwas überflüssig, aber
    > für Motorradfahrer bei naßer Fahrbahn überlebenswichtig). Genauso
    > definiert ein Standard, daß der Durchschnittsentwickler noch gute
    > Software produzieren kann. Daß es manchmal schneller geht, wenn man
    > den richtigen Drive hat steht außer Frage.
    
    Ein Standard kann für Mitarbeiter eine gute Hilfestellung sein, an der sich
    jeder bei Bedarf orientieren kann. Mache ich aber diese Regeln zum
    Standard, mache ich alle Entwickler gleich. Und dies ist eben gerade bei
    geistig kreativer Arbeit kontraproduktiv. Warum soll ich, wenn ich
    schwächeren helfe, die anderen demotivieren? Ein
    Softwareentwicklungsprojekt ist keine Ralleystrecke. Es wird niemand
    überfahren. Der Projektleiter kann hier seinen "schwächeren" Mitarbeitern
    den Standard vorgeben, sollte dies bei anderen aber tunlichst unterlassen.
    Ein verbindlicher Standard richtet unnötig Schaden an.
    > Richtig, man kann STandards nicht über die Mauer in ein Unternehmen
    > werfen. Standards stellen aber auch einen guten Weg dar, um von anderen
    > zu lernen. Hier kann das V-Modell als Referenzwerk dienen, um einen
    > Vergleich mit existierenden Standards zu ermöglichen. Gründe, das
    > V-Modell zu benutzen sind zum Beispiel sein gutes Verfahren zum
    > Tailoring, die Definition von Rollen (auch wenn viele Unternehmen den
    > Sinn och nicht verstehen) oder die Vollständigkeit der Aktivitäten.
    Auch hier sind wir einer Meinung. Wenn ich das V-Modell als Referenzwerk
    verwende, mache ich es nicht zum verbindlichen Standard. Viele Unternehmen
    gehen jedoch diesen Schritt, gerade auch in Hinblick auf Zertifizierungen.
    Die Bundesbehörden müssen ihn sogar gehen. Das Modell wird oft genug weder
    sorgfältig eingeführt, noch überhaupt auf seine Eignung im Unternehmen
    überprüft. DeMarco schreibt: ?Für uns klingt das nach gesundem
    Hausverstand, aber es weicht von den weitverbreiteten Vorstellungen in der
    Industrie ab, daß man neue Ansätze finden soll und diese als Standard
    festschreiben, bevor irgend jemand in der Firma sie ausprobiert hat."
    
    Für mich steht somit der Nutzen verbindlicher Prozeßstandards aus Sicht
    eines Softwarehauses oder Auftragnehmers weiterhin in Frage. Mich würden
    weitere Meinungen und Erfahrungen sehr interessieren!
    
    Mit freundlichen Grüßen
    Christian Steinmann
    
    -----------------------------------------
    Dr. Christian Steinmann
    GIS GmbH
    Qualitätsmanagement
    Friedrich-Ebert-Anlage 2-14
    60325 Frankfurt am Main
    Tel: 069 / 75690-205
    E-Mail: Christian.Steinmann@GIS-online.de

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